Die Mächtigen machen, was sie wollen, die Normalbürger werden verfolgt. Ebendiese Vorgehensweise ist in Deutschland leider Alltag, sobald es um Steuervergehen geht. Während ein kleiner Unternehmer, der infolge eines finanziellen Engpasses nicht sofort in der Lage ist, seine Steuer fristgerecht zu bezahlen, vom Finanzamt mit aller Härte vollstreckt wird, schieben sich bestimmte Großaktionäre wechselseitig die Aktienpakete zu und ziehen daraus auch noch gewaltige, höchst fragwürdige Steuervorteile. Und sie kommen damit durch. Gelten hier andere Regeln?
Über 100 Kreditinstitute und eine überschaubare Gruppe Investment-Banker scheinen über sogenannte Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte im großen Stil Steuerzahlungen vermieden haben. Dem Fiskus sollen laut „Panorama“ und „Zeit“ mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen sein. Eine gewaltige Summe, die der Staat vernünftig hätte zum Einsatz bringen können. Aber das kann er nicht, denn selbige Milliarden wanderten in die Taschen von Banken, Börsenmaklern und Rechtsanwälten.
Wie ist das passiert?
Von Cum-Cum-Geschäften wird gesprochen, sobald ein inländisches Kreditiinstitut einem Anleger aus dem Ausland in die Lage versetzt, eine Steuerrückzahlung zu erhalten, die ihm keineswegs zusteht. Cum-Ex-Geschäfte verlaufen deutlich komplizierter.
Diese Aktiendeals werden in der Regel um solche Tage abgewickelt, an denen große Gesellschaften ihren Anteilseignern eine Dividende bezahlen. Ein Schlupfloch in der Steuergesetzgebung ermöglichte es Investoren, mit Hilfe solcher Geschäfte bereits über zahlreiche Jahre, Kapitalertragsteuern zurückzuerhalten, die vorab überhaupt nicht entrichtet wurden. Das Resultat dieser Geschäfte ist, dass eine Steuer einmal abgeführt und mehrfach vom Fiskus zurückgefordert wird. Dies liest sich nicht nur wie Steuerbetrug.
Diesen „Steuergewinn“ teilen sich folglich die Akteure wie ein Bankennetzwerk, Berater und Rechtsanwälte. Diese Geschäftspraktik läuft bereits seit Jahren und ist gewiss nur deswegen möglich, weil die Gesetzgebung diese Schlupflöcher offenhält. Es werden seit Jahren Steuern zurückerstattet, die nie bezahlt wurden.
Die Aufgabe ist systembedingt. Diese Geschäftemacherei ist nur möglich, wenn man eine richtig fette Brieftasche sein Eigen nennt. Anwaltliche Hilfestellung sorgt dafür, dass solche Geschäfte so verwirrend sind, dass ein Durchschnittsmensch kaum verstehen kann, was da vor sich geht. Demensprechend anspruchsvoll ist es, solchen Geschäften einen Riegel vorzuschieben. Die Behörden sind überfordert. Die sind weitestgehend damit ausgelastet, die kleinen Fische bis an das existenzielle Finale zu verfolgen und besitzen weder qualifizierte Mitarbeiter noch die Intension, sich Größerem zuzuwenden.
Personal ungenügend qualifiziert
Die Ausbildung zum Finanzbeamten wird als ein Studium deklariert. Allerdings ist dieses sogenannte Studium innerhalb von nur 3 Jahren zu absolvieren und besitzt das Niveau einer ganz normalen Berufsausbildung. Während dieses Studiums werden jedoch wichtige Aspekte durchweg außenvorgelassen. Zum Beispiel fehlt es zahlreichen Finanzbeamten an Sensibilität und Einfühlungsvermögen, vom Verständnis, wie in der Wirtschaft Geld verdient wird, ganz zu schweigen. Entsprechend unterkühlt und verständnislos treten viele dieser Damen und Herren dann auch auf. Für sie sind Steuerschuldner offenbar Verbrecher, die zur Strecke gebracht werden müssen. Wie kann man da erwarten, dass diese Damen und Herren in der Lage wären, so komplexe Geschäfte wie Cum-Cum und Cum-Ex zu durchschauen und auf diese Weise Steuerausfälle zu verhindern?
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ziehen sich ebenfalls hin. Der Zeitpunkt der Verjährung für diese Delikte rückt näher. Das Problem ist der verwirrende Weg, den die Papiere und die Gelder nahmen. Die folgende Darstellung erklärt das Prinzip.
Ausgangslage: Anleger 1 besitzt Aktien eines Großkonzerns im Wert von 30 Millionen Euro.
Verwirrender Handel: Kurz vor dem Dividendenstichtag kommt Anleger 3 auf die Bildfläche und erwirbt seinerseits Aktien des Großkonzerns für 30 Millionen Euro. Allerdings übernimmt er verwirrenderweise nicht die Papiere von Anleger 1, sondern kauft diese von Anleger 2, wenngleich der gar keine Aktien besitzt (Leerverkauf).
Dividendenfluss: Die Dividende von 1.000.000 Euro wird gezahlt. Anleger 1 erhält allerdings nur 750.000 Euro, da 25 Prozent als Kapitalertragssteuer für den Staat vom Konzern einbehalten werden. Anleger 1 bekommt eine Bescheinigung, durch die er sich die Steuer unter bestimmten Voraussetzungen zurückerstatten lassen darf.
Verwirrende Aktion Teil 2: Die Dividende wurde ausgeschüttet. Anleger 1 verkauft seine Aktien an Anleger 2. Das dazu benötigte Geld hat Anleger 2 aus dem Leerverkaufsgeschäft mit Anleger 3. Anstelle 30 Millionen fließen allerdings nur 29 Millionen Euro von Anleger 2 zu Anleger 1, da die Papiere nach der Dividendenausschüttung nun 1.000.000 Euro weniger wert sind.
Fragezeichen tauchen auf: Anleger 2 schleust diese Aktien, die er von Anleger 1 erworben hat, an Anleger 3 weiter. Er erfüllt dadurch seine Verpflichtung aus dem Leergeschäft mit Anleger 2, der bereits 30 Millionen Euro an Anleger 3 gezahlt hatte. Das Problem ist nun, dass Anleger 3, obwohl er 30 Millionen Euro gezahlt hatte, nur Papiere im Wert von 29 Millionen Euro erhält. Anleger 2 überweist ihm deshalb obendrein die Netto-Dividende von 750.000 Euro. Für die fehlenden 250.000 Euro lässt sich Anleger 3 von seiner Depotbank eine Steuerbescheinigung ausstellen.
Wieder Ausgangslage? Anleger 3 leitet die Aktien für 29 Millionen an ihren ursprünglichen Inhaber, Anleger 1 zurück. Auf den ersten Blick ist hierdurch alles wiederholt wie am Anfang. Der Unterschied ist, dass der Großkonzern unterdessen die fällige Dividende an Anleger 1 ausgezahlt hat.
Der Staat hat nur einmal Steuern kassiert – dafür haben aber nun zwei Anleger einen Anspruch auf Steuererstattung, nämlich neben Anleger 1 auch Anleger 3. Den Erlös aus der zusätzlichen Steuerrückerstattung teilen die drei Anleger unter sich auf.
Die Gesetzgeber sind gefragt, in diesem Fall direkt Abhilfe zu schaffen. Auch eine Gleichbehandlung wäre ein erster Schritt. Steuersünden gibt es in allerlei Ausprägung. Manchmal zwingt die Situation dazu, manchmal ist aber auch Vorsatz im Spiel. Was ist schlimmer? Vorsatz oder die Abhängigkeit von ungünstigen Umständen? Steuerehrlichkeit sollte Ehrensache für jeden sein, der in einem Land lebt und dadurch auch von diesem profitiert, egal ob klein oder groß.
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